”Wikileaks” anno 1933 ff.

Sonntag,2.Dezember2012 von

Vertrauliche Berichte tschechoslowakischer Botschafter 1933 – 1938

Wikileaks hat in letzter Zeit durch die Veröffentlichung vertraulicher Regierungspapiere großes Aufsehen erregt. Etwas Ähnliches veranstalteten deutsche Behörden nach Errichtung des Protektorats, als sie Zugriff auf Akten der csl. Regierung hatten. Gefunden wurden z.B. zahllose Quittungen ausländischer Journalisten, die in ihren Blättern Tendenzberichte zwecks Steuerung der öffentliche Meinung geschrieben hatten. Abgedruckt wurden diese Belege in Rudolf Urban, „Demokratenpresse“, 1940.

Hochinteressant, aber leider von den Historikern noch zu wenig beachtet, waren daneben die vertraulichen Berichte csl. Botschafter an ihre Regierung. Sie wurden von Prof. Berber in dem Buch „Europäische Politik 1933-1938 im Spiegel der Prager Akten“ (Essen 1942, 135 Seiten) publiziert. Die für das Sudetenland interessantesten Teile daraus werden im Folgenden schlagwortartig wiedergegeben.

Die Berichte sind (wie im Buche Prof. Berbers) chronologisch angeordnet und können nach dem Datum zitiert werden. Hinter dem Datum stehen in Klammern Funktion, Name und Einsatzort des jeweiligen Berichterstatters.

 

1933

09.02.1933 (Botschafter Vaclav Mastny, Berlin, Bild links): Hitler betont, daß die im Volkssportprozeß angeklagten Sudetendeutschen nichts mit seiner nationalsozialistischen Bewegung zu tun haben.

21.03.1933 (Geschäftsträger Cerny, London): In Großbritannien wünscht man ausnahmslos, daß die Frage des polnischen Korridors eine für beide Seiten annehmbare Lösung finde.

25.03.1933 (Mastny, Berlin): Die Haßkampagnen einiger tschechischer Zeitungen gegen Deutschland sind eines Kulturvolkes unwürdig und können zu unfreundlichen Gegenreaktionen führen. Das deutsche Außenamt habe sich ihm gegenüber stets korrekt verhalten.

31.03.1933 (Botschafter Osusky, Paris): Der Revisionsartikel 19 des Versailler Vertrages darf unter keinen Umständen angewandt oder auch nur erwähnt werden.

24.04.1933 (Mastny, Berlin): Der französische Botschafter Francois-Poncet hält Hitler für einen aufrichtigen Menschen, der in der Außenpolitik Sinn für Mäßigung habe.

10.05.1933 (Gesandter Girsa, Warschau): Über einen Präventivkrieg gegen Deutschland wird von Marschall Pilsudski und im polnischen Generalstab nachgedacht.

11.09.1933 (Geschäftsträger Ibl, Paris): England wäre zu Zugeständnissen in der Abrüstung der Landheere, niemals aber der Luftwaffe bereit.

21.12.1933 (Mastny, Berlin): Die Absicht Hitlers, die Lage durch Nichtangriffspakte mit Frankreich und England zu beruhigen, ist „vollkommen aufrichtig“.

1934

15.01.1934 (Gesandter Girsa, Warschau): Laut General Sosnkowski hegt man in polnischen Militärkreisen dieselbe Animosität gegen Deutschland wie früher.

19.02.1934 (Erlaß des Außenministers Benesch): England bereitet eine große Luftflotte vor.

25.02.1934 (Mastny, Berlin): Nach dem Nichtangriffspakt mit Polen ist Deutschland auch eifrig um ein gutes Verhältnis zur CSR bemüht. Das zeigte sich z.B. in Sachen Sudetendeutscher Heimatbund. Dieses günstige Klima ist aber gefährdet, wenn die tschechische Presse Deutschland weiter durch unsachliche Darstellungen reizt.

01.03.1934 (Gesandter Chvalkovosky, Rom): Eden zeigte sich nach einem Besuch in Berlin von Hitler „sehr angenehm“ überrascht. Eden hält Einigung mit Deutschland für möglich. Der Schlüssel zur Abrüstung liege nur bei Frankreich.

15.03.1934 (Botschafter Jan Masaryk, London.sh. Bild links): Churchill macht „eine Phase alarmierender Geisteshaltung“ durch. Er spricht unentwegt von Kriegsgefahr und mahnt zur Rüstung. Eden sprach in Berlin fünf Stunden mit Hitler und hatte von diesem einen sehr guten Eindruck. Er hält ihn für einen ehrlichen Fanatiker, der den Krieg nicht will.

18.04.1934 (Erlaß Beneschs): Der Anschluß Österreichs wird Deutschland im Süden beschäftigen, was zur Entlastung Polens im Norden führt. Daher wird sich Polen dem Anschluß nicht entgegenstellen.

13.07.1934 (Geschäftsträger Ibl, Paris): England ist nach Einschätzung der Franzosen froh, wenn über Abrüstung überhaupt nicht gesprochen wird und es im Stillen aufrüsten kann.

13.09.1934 (Gesandter Krofta): Unser Verhältnis zu den Sudetendeutschen hat sich „etwas getrübt“. Wir müssen zugeben, daß an vielen Orten der Unterschied zwischen den neuen tschechischen Schulen und den alten deutschen einigermaßen herausfordernd wirkt. Durch Druck wird nichts erreicht. „Unsere Deutschen“ weisen auf Verfolgung wegen vermeintlichen Hakenkreuzlertums und auf überflüssige Schikanen hin.

24.10.1934 (Mastny, Berlin): Hitler sprach mit Francois-Poncet über den Versailler Friedensvertrag, der Regelungen über das Territorium und die Abrüstung enthalte. Deutschland wolle keine Revision der Grenzen, bis auf den Korridor. Bei der Abrüstung lehne Deutschland aber demütigende Bestimmungen ab und bestehe auf Gleichberechtigung.

31.10.1934 (Gesandter Girsa, Warschau): Polen rechnet mit friedlicher Regelung der Streitfragen und nicht mit einem Krieg.

15.11.1934 (Masaryk, London): England rüstet seine Luftwaffe fieberhaft rund um die Uhr auf. Die Aufwendungen betragen etwa das Dreifache dessen, was im Staatshaushalt erkennbar ist.

1935

14.03.1935 (Gesandter Krofta): Die Lebensverhältnisse in Deutschland sind nicht gerade glänzend. Aber angesichts der Größe des deutschen Volkes, der festen Fundierung des Staates und der besonderen Qualität der Nation muß mit einer sehr langen Dauer der NS-Herrschaft gerechnet werden.

28.03.1935 (Mastny, Berlin): Francois-Poncet vermutet, daß Hitler auf den britische Minister Simon glaubwürdig und aufrichtig gewirkt hat.

17.05.1935 (Gesandter Ibl, Paris): Die Deutschen gewährten den Sowjets einen Kredit von 200 Mio. RM, weil sie sich das Verhältnis zu ihnen nicht verbauen wollen.

22.05.1935 (Erlaß des Außenministers Benesch): Nach dem Wahlerfolg Henleins beurteilt Benesch dessen Partei als nicht irredentistisch. Auch werde sie bald auseinanderfallen.

23.05.1935 (Gesandter Krofta): Für die tschechoslowakische Außenpolitik ist es sehr unangenehm, daß die Henleinpartei die größte der CSR ist, weil wir von ihr immer behauptet haben, daß sie gegen den Staat sei. Berlin hat für Henlein kein Interesse bekundet.

25.05.1935 (Mastny, Berlin): Die verhältnismäßige Aufrichtigkeit von Hitlers Friedenswillen liegt in der deutschen Hoffnung auf eine automatische Lösung der Probleme (z.B. in der CSR und in Österreich). Hitler besteht entschieden auf dem Recht der Selbstbestimmung. Das Verhältnis der CSR zu Deutschland ist offiziell korrekt, wegen unseres inneren Verhältnisses zu den Sudetendeutschen in Wirklichkeit aber schlecht.

30.09.1935 (Geschäftsträger Smutny, Warschau): Die polnische Kampagne gegen die CSR war in den letzten Wochen so intensiv wie seit Januar 1934 nicht. Die Polen sind eine Nation, die in der Geschichte immer durch irgendjemand irgendwo verfolgt wurde oder sich dies einbildet. Selbstmitleid und Rachewunsch sind Bedürfnis der polnischen Seele.

1936

26.03.1936 (Gesandter Slavik, Brüssel): Ein belgischer Kenner der britischen Industrie ist von der fieberhaften Aufrüstung Englands überrascht. Die britischen Industriellen verhehlen nicht, daß gegen Deutschland gerüstet wird.

14.07.1936 (Slavik, Warschau): Direktor Kobylanski vom polnischen Außenministerium gibt zu, daß der Schuldige in Danzig nicht (der Deutsche) Greiser sei, sondern der (polnische) Oberkommissar Lester, der sich unzulässigerweise in die inneren Angelegenheiten der Freien Stadt einmischte. Nach Ansicht des französischen Botschafters Noel entspricht Kobylanskis Meinung der Politik des polnischen Außenministers Beck.

08.10.1936 (Vortrag des Außenministers Krofta): Der Brite Eden wußte nicht, daß es in der CSR deutsche aktivistische Parteien gibt, die mit der Regierung gegen die Henleinleute arbeiten.

17.12.1936 (Vortrag des Außenministers Krofta): Die Sudetendeutschen können nach den deutschen Rassegrundsätzen nicht als vollwertiges deutsches Volk angesehen werden.

1937

13.03.1937 (Gesandter Slavik, Warschau): Sikorski bedauert, daß Frankreich einen Rüstungskredit an Polen vergab, ohne den „Kopf Becks“ dafür zu verlangen.

08.04.1937 (Gesandter Slavik, Warschau): Als der französische Botschafter Noel in einem Auto mit polnischem Kennzeichen durch Ostpreußen reiste, war er polenfeindlichen Bemerkungen der Bevölkerung ausgesetzt.

05.06.1937 (Osusky, Paris): Roosevelt bleibt in Sachen Abrüstung passiv, solange die von Hitler und Mussolini aufgeworfenen politischen Fragen wie auch das wirtschaftliche Regime der Autarkie nicht geregelt sind.

17.06.1937 (Vortrag Außenminister Kroftas): In Polen, in den Kreisen um Oberst Beck, herrscht ständig eine antitschechische Stimmung.

04.08.1937 (Geschäftsträger Prochazka, Warschau): Vor der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Paktes im Januar 1934 bot Polen Frankreich wiederholt an, mit ihm einen Präventivkrieg gegen Deutschland zu führen.

11.09.1937 (Vortrag Außenminister Kroftas): Die öffentliche Meinung in England und Frankreich ist für eine Volksabstimmung im Sudetenland. Den jeweiligen Regierungen muß daher gesagt werden, daß dies für uns unannehmbar ist.

10.10.1937 (Vortrag Außenminister Kroftas): Frankreich sichert der CSR rückhaltlose Hilfe zu.

14.10.1937 (Vortrag Außenminister Kroftas): Die größten Schwierigkeiten gegenüber Deutschland entstehen durch das Staatsschutzgesetz, dessen Durchführung jedoch nicht unterbleiben kann.

07.11.1937 (Gesandter Slavik, Warschau): Polen hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, seine eigene und die Autorität des Völkerbundes in Danzig zu schwächen, so daß seine Rechte in Danzig heute nur noch auf dem Papier stehen.

02.12.1937 (Osusky, Paris): Die CSR ist bei den Mitgliedern der englischen Regierung besser angesehen als in der Öffentlichkeit. Die CSR wird als Riegel gegen Deutschlands Expansion in das Donaugebiet gesehen.

10.12.1937 (Gesandter Slavik, Warschau): Der französische Botschafter Noel teilt mit, daß Hitler gegenüber Halifax keine konkreten Forderungen an die CSR erhoben hat. In London gibt man zu, mit diesen Gesprächen Zeit gewinnen zu wollen.

1938

20.01.1938 (Osusky, Paris): Ungarn beschwert sich darüber, daß die CSR für die madjarische Minderheit nicht das getan hat, was sie versprochen hat.

21.02.1938 (Osusky, Paris): Frankreich bat England, in Berlin wegen Österreich vorstellig werden. England hat wegen des Konfliktes zwischen Eden und Chamberlain bisher nicht darauf geantwortet.

23.02.1938 (Mastny, Berlin): Henderson ist von der Aufrichtigkeit Hitlers, sich der CSR zu nähern, überzeugt.

24.02.1938 (Vortrag Außenminister Kroftas): Deutschland hat erstmals angedeutet, daß sein gutes Verhältnis zur CSR von der Lage der Sudetendeutschen abhängt. Der Gesandte Eisenlohr beginnt, sich mehr und mehr in die Verhältnisse der CSR einzumischen und spricht mit den Henleinleuten.

12.03.1938 (Mastny, Berlin): Baron Neurath betont, die „österreichische Sache“ sei eine „Familienangelegenheit“ und betreffe nicht die CSR. Deutsche Truppen halten einen Abstand von 30 Kilometern zur CSR-Grenze. Neurath habe „leider“ wieder angeregt, den „Deutschen bei uns“ wenigstens einige Zugeständnisse bei der kulturellen Autonomie zu machen.

17.03.1938 (Masaryk, London): Prag möge irgendeinen politischen und wirtschaftlichen Ausschuß für “unsere Deutschen“ bilden, um Zeit zu gewinnen und durch irgendeine Geste die englische Öffentlichkeit zu beruhigen.

23.03.1938 (Mastny, Berlin): Im Ausland (namentlich in England und bei seinen Diplomaten in Berlin und Prag) ist die „Theorie“ stark verbreitet, daß den Deutschen bei uns tatsächlich Unrecht angetan werde. Unter „Ausgleich“ sei ein Ausgleich mit den Henleinleuten zu verstehen. Auch in Kreisen nüchterner Deutscher sind nach dem Anschluß Österreichs die Forderungen dafür ziemlich gewachsen. Nach Ansicht des englischen Botschafters machte Frankreich den Fehler, die CSR gegen Deutschland aufzuhetzen und von einer Übereinkunft abzuhalten. Die Deutschen in der Republik hätten bisher ihre Rechte nicht erhalten. England habe darüber ernsthafte Informationen, seit Henderson in Karlsbad war. Die Deutschen müssten in irgendeiner Form eine Autonomie erhalten.

21.04.1938 (Vortrag Kroftas): Der Defensiv-Vertrag CSR-Frankreich ist nur gegen Deutschland gerichtet.

26.04.1938 (Osusky, Paris): Jeder Aufschub von Verhandlungen mit den Sudetendeutschen kann den Briten als Vorwand dienen, sich aus dem Engagement für die CSR zurückzuziehen.

28.04.1938 (Masaryk, London): Hore-Belisha teilte führenden USA-Vertretern vertraulich mit, daß das Schicksal der CSR besiegelt sei.

14.05.1938 (Osusky, Paris): Henderson ist überzeugt, daß Deutschland sich bemühe, die Sudetendeutschen zu beruhigen und nicht aufzureizen. Ribbentrop meint, Benesch suche nur Scheinlösungen und wolle dem Krieg nicht ausweichen. Es wäre für die CSR verhängnisvoll, meint Osusky, wenn auch die französische Regierung zu dieser Überzeugung käme.

22.05.1938 (Osusky, Paris): Bonnet befürchtet, daß die Mobilmachung der CSR eine Mobilisierung Deutschlands rechtfertigen könnte.

16.06.1938 (Masaryk, London): Henderson beklagt sich über den unwahren CSR-Bericht von deutschen Truppenbewegungen. Sein diesbezüglicher Protest in Berlin sei daher eine große Blamage gewesen.

02.07.1938 (Krofta an Osusky, Paris): Frankreich möge sich gegen unwillkommene jüdische Einwanderung durch andere Mittel als Sichtvermerkszwang schützen.

04.07.1938 (Osusky, Paris): Deutschland arbeitet verstärkt an den Befestigungen seiner Westgrenze, weil es offenbar Folgerungen aus der Mai-Mobilmachung gezogen habe.

25.07.1938 (Osusky, Paris): Frankreich rät, den britischen Vermittler (Runciman) zu akzeptieren, denn damit könne man einen Volksentscheid vermeiden und Deutschland aus dem Streit ausschalten.

26.07.1938 (Masaryk, London): Chamberlain will um jeden Preis Zeit gewinnen.

31.08.1938 (Masaryk, London): Vansittart beschwert sich, von Benesch getäuscht zu werden, weil er den Sudetendeutschen nicht soviel gibt, daß die Weltmeinung sich hinter die CSR stellt. Die CSR müsse jetzt sofort einen „faktischen“ und keinen „theoretischen“ Standpunkt einnehmen.

01.09.1938 (Osusky, Paris): Die Berichte Runcimans aus Prag riefen in London einen gefährlich schlechten Eindruck hervor.

10.09.1938 (Gesandter Slavik, Warschau): Im polnischen Außenministerium begrüßte man den Abtretungsvorschlag in der „Times“ vom 7.9.38 mit Begeisterung. Er sei eine Bestätigung für die Richtigkeit der polnischen Politik gegenüber der CSR.

10.09.1938 (Masaryk, London): Die CSR sollte Newton noch heute mitteilen, daß das Plebiszit für Prag unannehmbar sei, damit die „Haderlumpen“ in London keine Ausrede haben.

13.09.1938 (Masaryk, London): Henderson hat Chamberlain davon überzeugt, daß am 21.Mai keine Verschiebung deutscher Truppen stattfand.

19.09.1938 (Osusky, Paris): Bonnet stellte sich entschieden gegen einen Volksentscheid, weil dann auch die übrigen Minderheiten einen solchen fordern würden, was das Ende der CSR bedeutete. Daher erkannte man in London, daß nur eine unmittelbare Überleitung des Gebietes bliebe, zumal Präsident Benesch selbst eine Abtretung des Sudetengebietes an Deutschland erwäge (sh. Necas-Geheimbrief, F.V.).

19.09.1938 (Militärattache Bulandr, Sofia): Der französische Militärattache Major de Robien wirft der CSR vor, die Sudetendeutschen in zwanzig Jahren nicht für das Zusammenleben gewonnen zu haben. Auf der Friedenskonferenz habe sie die Sudetengebiete betrügerisch gewonnen.

20.09.1938 (Masaryk, London): Der französische Generalstab habe erklärt, militärisch völlig unvorbereitet zu sein, besonders in fliegerischer Hinsicht.

26.09.1938 (Erlaß Außenminister Kroftas): Die CSR nimmt die polnischen Grenzforderungen an.

(Auswertung: F.Volk)